Museum Hegel-Haus
© Julian Rettig

Hegel-Preis 2021

Über den Hegel-Preis

Der Hegel‐Preis wird alle drei Jahre vom Museum Hegel-Haus durchgeführt und von der Landeshauptstadt Stuttgart vergeben. Erstmals wurde der Preis 1970 anlässlich des 200. Geburtstags von Georg Wilhelm Friedrich Hegel verliehen. Es wird eine Person ausgezeichnet, die sich um die Entwicklung der Geisteswissenschaften verdient gemacht hat. Die Auszeichnung ist mit 12.000 Euro dotiert.

Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart hat am 8. Juni 1967 in Würdigung der Bedeutung ihres großen Sohnes Georg Wilhelm Friedrich Hegel den Hegel‐Preis gestiftet. Über die Verleihung entscheidet eine Jury. Eine Bewerbung ist nicht möglich. Der Hegel‐Preis gilt international als eine der wichtigsten philosophischen Auszeichnungen.

Hegel-Preis 2021

Mit dem Hegel‐Preis 2021 der Landeshauptstadt Stuttgart wurde die Professorin Béatrice Longuenesse ausgezeichnet. Die Landeshauptstadt Stuttgart würdigt damit eine der international anerkanntesten Philosophinnen unserer Zeit. Longuenesse‘ jüngste Arbeit umfasst – über die Geschichte der modernen Philosophie hinausgehend – die zeitgenössische Philosophie des Geistes und der Sprache unter Einbeziehung der Psychologie, Psychoanalyse und Neurowissenschaft. In diesem integrativen Werk, das verschiedene Fragen und Traditionen zusammenbringt und weiterführt, ohne es je an philosophie‐historischer Umsichtigkeit fehlen zu lassen, sieht die Jury eine Leistung, die es aufgrund ihrer außerordentlichen Eigenständigkeit und Güte verdient, mit dem Hegel‐Preis 2021 der Stadt Stuttgart ausgezeichnet zu werden.

Aufgrund der Corona‐Pandemie verlieh Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper den Preis am 29. Juni 2022 – im Rahmen des Stuttgarter Wissenschaftsfestivals 2022 – im Großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses. Die Laudatio hielt Professorin Dr. Dina Emundts, Philosophin und Professorin für Geschichte der Philosophie am Institut für Philosophie der Freien Universität zu Berlin.

Biographie Preisträger*in

Béatrice Longuenesse wurde am 6. September 1950 in Dieulefit (Drôme, Frankreich) geboren. Sie studierte Philosophie an der Universität Paris‐Sorbonne und an der Princeton University. 1981 schloss sie ihre Promotion und 1992 ihre Habilitation an der Universität Paris‐Sorbonne ab.

Longuenesse war außerordentliche Gast‐Professorin (1993−94), außerordentliche Professorin (1994−96) und ordentliche Professorin für Philosophie (1996−2004) an der Princeton University. In den Jahren 2004 bis 2020 war sie Professorin für Philosophie an der New York University. Heute ist sie emeritierte Lehrstuhlinhaberin für Philosophie auf der renommierten Silver Stiftungsprofessur an der New York University.

Longuenesse‘ jüngste Arbeit umfasst – über die Geschichte der modernen Philosophie hinausgehend – die zeitgenössische Philosophie des Geistes und der Sprache unter Einbeziehung der Psychologie, Psychoanalyse und Neurowissenschaft. Im Fokus ihrer Forschung stehen verschiedene Arten des Selbstbewusstseins und deren Zusammenhang mit dem Gebrauch des Pronomens der ersten Person Singular in Sprache und Denken.

Sie greift auf die Ressourcen der sowohl analytischen, als auch kontinentalen Tradition der Philosophie zurück, um eigene Beiträge zu zeitgenössischen Debatten über das Selbstbewusstsein zu liefern. Ihre Arbeiten auf diesem Gebiet erschienen in interdisziplinären Organen zusammen mit Beiträgen von Sprachwissenschaftler*innen, Sprachphilosoph*innen und Neurowissenschaftler*innen.

Preise und Auszeichnungen (Auswahl):
Mitglied der American Academy of Arts and Sciences (seit 2011)
Walter de Gruyter‐Preis (2017)
Spinoza‐Lehrstuhl für Philosophie, Universität Amsterdam (Frühjahr 2017)
John‐Birkerlund‐Preis, American Academy in Berlin (Frühjahr 2013)
Siemens‐Preis, American Academy in Berlin (Herbst 2012)
Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin (2006/2007)

Wichtige Werke von Béatrice Longuenesse

(1981) Hegel et la Critique de la métaphysique. Paris: Librairie Philosophique J. Vrin. Zweite, erweiterte Auflage 2015

(1991) Hegel: Notes et fragments. Iéna 1803−1806, traduction et commentaire (ouvrage collectif). Paris: Aubier

(1993) Kant et le Pouvoir de juger. Sensibilité et discursivité dans l‘Analytique Transcendantale de la Critique de la Raison Pure. Paris: Presses Universitaires de France

(1998) Kant and the Capacity to Judge. Sensibility and Discursivity in the Transcendental Analytic of the Critique of Pure Reason. Princeton: Princeton University Press. Taschenbuch‐Ausgabe 2000. (umfassend überarbeitete und erweiterte englische Fassung von (1993))

(2000) Übersetzung in Portugiesisch (Brasilien). João Geraldo Martins da Cunha e Luciano Codato: Kant e o poder de julgar. Editora Unicamp

(2005) Kant on the Human Standpoint. Cambridge: Cambridge University Press

(2007) Hegel’s Critique of Metaphysics (erweiterte englische Fassung von (1981), inkl. zweier zusätzlicher Kapitel und einem neuen Vorwort). Cambridge: Cambridge University Press

(2017, Taschenbuch‐Ausgabe 2019) I, Me, Mine. Back to Kant, and Back Again. Oxford: Oxford University Press

(2019) The First Person in Cognition and Morality. Oxford: Oxford University Press

Jury-Begründung

„Béatrice Longuenesse ist emeritierte Professorin für Philosophie auf der renommierten Silver Stiftungsprofessur an der New York University. Sie gehört zu den international anerkanntesten Philosophinnen unserer Zeit. In ihren Arbeiten ist es ihr gelungen, ganz unterschiedliche Traditionen, Fragestellungen und kulturelle Impulse in einzigartiger Weise aufzugreifen und miteinander ins Gespräch zu bringen. Die mittlerweile zu Standardwerken avancierten Studien über Kant und Hegel bezeugen, dass Béatrice Longuenesse herausragende philosophiehistorische Forschung betreibt. Zugleich kann sie beeindruckend erkennbar machen, dass Fragen zur Geschichte der Philosophie ihre Aktualität nicht eingebüßt haben.

Béatrice Longuenesse zeichnet sich dadurch aus, dass sie sehr verschiedene Fragen und Traditionen in sehr fruchtbarer Weise zusammenbringt: Sie ist fraglos eine der einflussreichsten und besten Forscher:innen für die Geschichte der Philosophie. Ihre Bücher zu Kant und Hegel sowie ihre Bücher zu Themen des Selbstbezugs gehören zu den weltweit meist zitierten und einflussreichsten Büchern der akademischen Welt überhaupt. Sie gelten im Feld als kanonisch. Qualität wie Originalität ihrer Interpretationen sind ebenso unbestritten wie maßgebend. 

Sie hat aber nicht nur bedeutende Arbeiten zur Geschichte der Philosophie geschrieben. Sie hat auch, instruiert durch die Philosophiegeschichte, zur zeitgenössischen Philosophie gearbeitet, insbesondere zur Philosophie des Geistes. Ausgehend von den bei Kant und Hegel mit aller Radikalität gestellten Fragen zum Selbstverhältnis und Person‐sein und nicht zuletzt zu den in diesen Selbstverhältnissen fundierten Vorstellungen von menschlicher Freiheit haben ihre Beiträge in äußerst fruchtbarer Weise auf andere Traditionen ausgegriffen. Insbesondere hat sie in sehr origineller Weise Verbindungen zu Sigmund Freud, zu Positionen in der Phänomenologie, zu zeitgenössischen Positionen der Philosophie des Geistes und zu Neurowisschenaftler:innen hergestellt. Thematisch geht Longuenesse dabei ebenso um die Frage, welche Selbstbezüge wir Menschen ausbilden können, wie um die, was für eine Rolle diese für unser Erkenntnis der Welt und für unser moralisches Handeln in dieser spielen. 

Bemerkenswert ist, wie Béatrice Longuenesse in ihren Untersuchungen und mit ihren Fragen den Bereich enger akademischer Wissenschaft auch immer wieder transzendiert und die Grenzen innerakademischer Fachdiskussionen verlässt. So sind vielbeachtete und gewichtige Beiträge zu aktuellen philosophischen Fragen entstanden, die auch in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden.

Die Aktualisierung von Potentialen durchaus heterogener Traditionen führt Béatrice Longuesse besonders eindrücklich in Büchern wie I, Me, Mine. Back to Kant, and Back Again. Oxford University Press (2017) und The First Person in Cognition and Morality vor Augen . The Spinoza Lectures. Oxford. (2019) vor Augen geführt. Einen nahezu kanonischen Status in der internationalen Kant‐ und Hegelforschung genießen ihre Studien Kant and the Capacity to Judge. Sensibility and Discursivity in the Transcendental Analytic of the Critique of Pure Reason (Princeton University Press, 2000) und Hegel‘s Critique of Metaphysics (Cambridge University Press, 2007).

Béatrice Longuenesse ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und war Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg.

In diesem integrativen Werk, das wie kaum ein zweites verschiedene Fragen und Traditionen zusammenbringt und weiterführt, ohne es je an philosophiehistorischer Umsichtigkeit fehlen zu lassen, sieht die Jury eine Leistung, die es aufgrund ihrer außerordentlichen Eigenständigkeit und Güte verdient, mit dem Hegel‐Preis der Stadt Stuttgart ausgezeichnet zu werden.“

Begleitprogramm

Workshop im Museum Hegel-Haus mit der Preisträgerin

Einen Tag nach der feierlichen Verleihung des Hegel‐Preises 2021 war Prof. Dr. Béatrice Longuenesse mit dem Workshop „Conflicting Logics of the Mind. Lessons from Kant and Freud“ zu Gast im Museum Hegel‐Haus. Nach einem Einführungsvortrag  diskutierte und analysierte die Preisträgerin mit den Teilnehmenden des Workshops unterschiedliche wissenschaftliche Standpunkte.

Der Besuch von Longuenesse hatte überregionale Strahlkraft: An dem Workshop nahmen Studierende, Doktorand*innen und wissenschaftliche Mitarbeitende der Universitäten Heidelberg, Koblenz‐Landau, Tübingen und Stuttgart teil.